Update: Gerichtsverfahren mit dem Paul-Ehrlich-Institut
Mithilfe eines gerichtlichen Eilverfahrens soll geklärt werden, wie viele Verdachtsfallmeldungen das Paul-Ehrlich-Institut für die Teilnehmer SafeVac-App an die europäische Datenbank übermittelt hat.
Wie bereits berichtet, versuche ich seit einigen Monaten, eine Antwort auf meine Presseanfrage an das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) zu erhalten. Ich wollte wissen, wie viele Nebenwirkungs-Verdachtsfälle das PEI für die ca. 740.000 Anwender der SafeVac2.0-App verzeichnet hat. Laut Angaben des PEI wurde die App als Teil der aktiven Überwachung der Sicherheit der Corona-Impfstoffe propagiert und auf den Markt gebracht. Da das PEI diese Frage nicht beantwortet hat, befinde ich mich seit Anfang August 2025 in einem Eilverfahren vor Gericht, in dem mich die Anwältin Dr. Franziska Meyer-Hesselbarth vertritt. Mit ihr sprach ich über den aktuellen Stand des Verfahrens.
Wie ist der aktuelle Stand der Dinge? Hat das PEI inzwischen die Anzahl der Verdachtsfälle mitgeteilt?
Das PEI behauptet, es könne die Zahl der zur EMA gemeldeten Verdachtsfälle für SafeVac „aus technischen Gründen” nicht angeben.
In einem aktuellen Schriftsatz des PEI heißt es: «Es ist grob mit einem Zeitaufwand pro Studienfall von durchschnittlich mindestens 10 Minuten auszugehen, was bei über 56.000 Studienfällen zu einem Zeitaufwand von etwa 235 Wochen (40-Stunden-Woche) führen würde.»
Ja, sie sagen tatsächlich, sie müssten das von Hand zählen. Das gesamte Pharmakovigilanz-System (Arzneimittelsicherheitsüberwachung) basiert jedoch auf der Analyse von Verdachtsfällen. Entweder liegen hier gravierende Erfassungsfehler vor – was einer Behörde wie dem PEI nicht unterlaufen dürfte – oder es handelt sich schlicht um eine Ausrede. Was davon zutrifft, müssten die Verwaltungsrichter in Darmstadt aufklären.
In den von mir freigeklagten Protokollen des PEI-Fachbereichs Pharmakovigilanz ist zu lesen, dass im Dezember 2024 von einer behördeninternen Vorstellung der SafeVac-Daten die Rede ist. Die deskriptive Auswertung sei abgeschlossen, heißt es dort. Warum braucht es anscheinend knapp fünf Jahre, um valide Zahlen zu liefern?
Fünf Jahre sind sehr optimistisch! Im Ernst: Das Verhalten des PEI erweckt mittlerweile nicht mehr den Eindruck, als sei die Veröffentlichung valider Zahlen überhaupt noch beabsichtigt. Eine Person müsste 235 Wochen zählen, um die SafeVac2.0-Verdachtsfälle zu ermitteln, schreibt das PEI.
Was ist ein Studienfall im Gegensatz zu einem Verdachtsfall einer Nebenwirkung?
Ein Verdachtsfall ist klar definiert: Verdachtsfall = unerwünschte Nebenwirkung (UAW) + plausibler Bezug zu einem bestimmten Arzneimittel aufgrund zeitlichen Zusammenhangs, aber nicht notwendigerweise bestätigt + identifizierbarer Patient und identifizierbarer Melder.
Meldungen von Verdachtsfällen dienen in der Pharmakovigilanz dazu, Risiken frühzeitig zu erkennen und gegebenenfalls regulatorische Maßnahmen zu ergreifen. Was das PEI unter „Studienfall” versteht, ist hingegen noch immer unklar. Trotz Nachfragen gibt es im Gerichtsverfahren darauf keine eindeutige Antwort. Der Begriff wirkt eher wie ein sprachliches Vernebelungskonstrukt. Er ist ungewöhnlich und in den Regeln über Good Pharmacovigilance Practice (GVP) sowie im Arzneimittelrecht nicht vorgesehen. Jedenfalls kann ein „Studienfall“ laut PEI mehrere, jeweils bis zu drei, ihm zugeordnete Verdachtsfälle haben. Wie die SafeVac2.0-„Studienfälle“ in der Pharmakovigilanz ausgewertet wurden, hat das PEI bisher nicht erklärt.
Welche Argumentation liefert das PEI hinsichtlich seiner Unfähigkeit, die Frage zu beantworten?
Im Kern argumentiert das PEI, dass es an seiner eigenen Erfassungssystematik bei den mindestens 56 545 „Studienfällen“ liegt, die es an EudraVigilance gesendet hat. Eigentlich, so versucht das PEI es darzustellen, sei SafeVac doch keine Pharmakovigilanz gewesen. Bei Pharmakovigilanz hätten sie sich an die GVP-Regeln halten müssen, was bei SafeVac sehr wahrscheinlich nicht erfolgt ist.
Haben Sie Zahlen oder Datensätze, die einen Hinweis darauf geben, wie viele Verdachtsfälle für SafeVac 2.0 gemeldet wurden?
Es gibt natürlich Hinweise, trotzdem ist das kaum verlässlich zu sagen. Man müsste dazu dem PEI die Frage stellen: „Habt ihr bei den 56 545 SafeVac-‚Studienfällen‘ vorher eine Kausalitätsbewertung nach GVP vorgenommen, also valide Fallreporte (ICSR) erzeugt?” Das PEI hatte genau das in einem meiner anderen Verfahren einmal bestätigt. Dort hieß es, dass Meldungen zu EudraVigilance nach Validierung der SafeVac-Eingangsdaten erfolgen würden. Somit könnten die tatsächlichen Verdachtsfälle noch um einiges über den genannten 56 545 liegen.
Wie begründet das PEI die Aussage, dass gar keine Eilbedürftigkeit vorliegt?
In offiziellen Verlautbarungen betonte das PEI bis vor Kurzem, wie wichtig Transparenz sei und dass die Öffentlichkeit ein hohes Informationsbedürfnis bezüglich der Sicherheit der Corona-Impfstoffe habe.
Jetzt sagt das PEI sinngemäß, das sei „Pandemieaufarbeitung“ und die Beantwortung der offenen Fragen könne ggf. noch Jahre warten. Zudem sei das aktuelle öffentliche Interesse eher gering und auf einen kleinen Kreis von sozialen Medien bzw. Blogs beschränkt. Die Widersprüche in der Argumentation des PEI sind dabei unübersehbar. So hatten im Juli 2025 mehrere große Medien, u. a. „Die Welt“, das Magazin „Focus Online“ und der MDR über aktuelle SafeVac-Zahlen des PEI berichtet. Außerdem verpflichtet das Presserecht Behörden unabhängig von der Auflagenstärke des anfragenden Journalisten zur Auskunft.
Wie bewerten Sie das Vorgehen des PEI in diesem Verfahren insgesamt?
Das PEI schreibt, dass die SafeVac-Meldungen in den Studienteil der EMA-Datenbank EudraVigilance gelangt sind, für den „bewusste Nichtöffentlichkeit“ gelte. Dafür führt es drei Gründe an: „Forschungsvorhaben, Schutz personenbezogener Daten und Schutz ggf. geschäftlicher Interessen“. Mit SafeVac wurden laut Studienprotokoll jedoch keine personenbezogene Daten erhoben. Somit bleibt ein öffentlich als Sicherheitsstudie (sog. Post-Marketing-Studie) dargestelltes „Forschungsvorhaben“, das zum Schutz ggf. bestehender geschäftlicher Interessen geheim gehalten wird. Die Studienteilnehmer haben jedoch nie in eine Forschungsteilnahme eingewilligt. SafeVac wurde ausdrücklich als Sicherheitsstudie vermarktet, bei der man zur Verbesserung der Impfstoffsicherheit beitragen könne. Im Risk Management Plan der EMA war passend dazu eine intensive post-marketing surveillance vorgesehen, wobei EMA den nationalen Behörden Ausgestaltungsspielraum bei der Umsetzung eingeräumt hatte.
Ich frage mich, ob dem PEI bewusst ist, welche Außenwirkung entsteht, wenn es nachträglich heißt, SafeVac 2.0 sei „Forschung“ gewesen, wobei die „Forschungsergebnisse“ nur dem PEI und den Impfstoffherstellern, nicht aber der Öffentlichkeit zugänglich sind. Der Risk Management Plan der EMA besagt übrigens, dass alle neuen «Erkenntnisse zeitnah der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.»
Wie wird es weitergehen und welche Prognosen gibt es?
Es ist offensichtlich, dass das PEI „mauert“, denn es hat weitere sehr konkrete Pressefragen zu SafeVac bis heute ebenfalls vollständig unbeantwortet gelassen. Dabei behauptet die Behörde nicht einmal, nicht antworten zu können. Auch wenn aus meiner Sicht die Rechtslage sehr eindeutig ist: Ich wage keine Prognose, ob die Gerichte diesem die Intransparenz fördernden Verhalten der Bundesoberbehörde eine Absage erteilen werden. Es wäre höchste Zeit dafür!
Dr. Franziska Meyer-Hesselbarth ist seit 2008 Rechtsanwältin. Sie war unter anderem Mitarbeiterin bei der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht und Richterin am Landgericht Düsseldorf. Zu ihren Tätigkeitsschwerpunkten gehören Verwaltungsrecht, Arbeitsrecht und Medizinrecht.
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