Historisches Versagen: SafeVac2.0 und wie das Ticken der Uhr immer lauter wurde
Was vor rund einem Jahr in der Veröffentlichung der RKI-Protokolle gipfelte, steht nun auch dem Paul-Ehrlich-Institut bevor: Die Bruchlandung auf dem Boden der Realität. Die Studie SafeVac2.0 spielt dabei eine wichtige Rolle, denn sie bringt die unerbittliche Mathematik eines historischen Pharmakovigilanzversagens in das Bewusstsein der Öffentlichkeit. Zusammengefasst in zwei Zahlen lautet diese Realität: 21-fache Nebenwirkungsrate (im Vergleich zu anderen Impfungen) und 95-prozentige Untererfassung.
Von Dr. Franziska Meyer-Hesselbarth, Titelbild: T. Jansen / Paul-Ehrlich-Institut
SafeVac2.0 ist eine Anwender-App, mit der das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) ab dem Beginn der Covid19-Impfkampagne aktiv die per Handy-App registrierten Teilnehmer befragte und so Daten über Nebenwirkungen der Impfstoffe erfassen wollte. Dadurch sollte insbesondere der größte Nachteil des Spontanerfassungssystems, welches das PEI zu Pharmakovigilanzzwecken (Arzneimittelüberwachung) betreibt, ausgeglichen werden – nämlich die dort zu verzeichnende Untererfassung. Weil vom PEI grundsätzlich niemand aktiv befragt wird, spricht man bei der Spontanerfassung auch von „passiver Pharmakovigilanz“. Pharmakovigilanz ist die Sicherheitsüberwachung für Arzneimittel, die das Arzneimittelgesetz (AMG) verpflichtend vorschreibt. Was in der sogenannten Spontanerfassung nicht gemeldet wird, bleibt unter dem Radar der Behörden. Im Gegensatz dazu sollte die SafeVac2.0-Erhebung eine aktive Befragung und damit bessere Erfassung von Nebenwirkungen gewährleisten, und zwar ausdrücklich „zeitnah“.
Am 17. Juli dieses Jahres berichtete die „Welt“ in einem Artikel von Elke Bodderas unter der Überschrift „Das Rätsel um beunruhigende Daten zu Corona-Impfnebenwirkungen“ über die immer noch nicht veröffentlichten SafeVac2.0-Daten des PEI.
Die relativ hohe Quote von 0,5 Prozent der SafeVac2.0-Teilehmer mit einer schwerwiegenden Nebenwirkung, die als Verdachtsfälle gemeldet worden waren (also jeder 210te Teilnehmer) und die Anfang Juli bei einer Bundestagsanfrage vom PEI genannt wurde, sei „überraschend“, so der Grundtenor des Artikels. “Eher ungläubig nimmt auch die deutsche Epidemiologen-Elite die 0,5 Prozent aus der App zur Kenntnis“, schrieb Frau Bodderas. Interessanterweise hat man offenbar Hoffnung, dass das Vertrauen der Bevölkerung in eine funktionierende Pharmakovigilanz von PEI und der europäischen Arzneimittelaufsichts-Behörde EMA zurückzugewinnen ist, wenn jetzt endlich mit offenen Karten gespielt wird. Die sich dunkel am Horizont abzeichnende Frage, ob eine Offenlegung der Daten (SafeVac2.0-App sowie der Daten aus dem System der gesetzlichen Krankenkassen) nicht im Gegenteil einen massiven Pharma-Skandal ans Tageslicht bringen wird, liegt scheinbar weit außerhalb der Vorstellungswelt der Experten.
Wäre das, was die Experten hier (angeblich oder tatsächlich) überrascht, vielleicht vermeidbar gewesen? Hätten sie etwas besser und öfter in die PEI-Sicherheitsberichte schauen sollen? Das Magazin Focus veröffentlichte am 24. Juli 2025 eine Kolumne des Virologen Professor Alexander Kekulé zum Thema SafeVac2.0. Inhaltlich völlig zutreffend führt Professor Kekulé dort aus: „Bei der Spontanmeldung lag die Rate schwerwiegender Verdachtsfälle bis September 2021 in der Größenordnung von 0,035 Prozent der damals zweifach geimpften Personen, betrug also etwa ein Zehntel der mit der SafeVac-App erfassten Quote“. Diese Quote, so Kekulé, sei vom PEI für SafeVac2.0 im September 2021 auf 0,35 Prozent beziffert worden. Nachgerechnet oder registriert hat das damals kaum jemand: Die Quote war tatsächlich zehn Mal höher.
So weit, so gut. Gäbe es nicht den zeitlichen Abstand von mittlerweile fast vier Jahren, könnte man einen Haken hinter dieses Statement eines erfahrenen Fachmanns setzen. Wie bei fast jeder Statistik steckt der Teufel aber im Detail.
Jedem ist klar: Wir schreiben mittlerweile nicht mehr das Jahr 2021. Von „zweifach geimpft“ ist ein großer Teil der Bevölkerung inzwischen weit entfernt. Annähernd 60 Prozent der Bevölkerung hatten eine sogenannte Booster-Impfung erhalten. Nicht wenige Risikopatienten haben zwischenzeitlich sogar schon eine vierte oder fünfte Dosis des Covid-Impfstoffs bekommen, in der Regel sind diese angepasst an neue Virusvarianten.
Was noch geschah: Anfang September 2023 wurde Frau Dr. Keller-Stanislawski als vormalige Leiterin der Pharmakovigilanz-Abteilung des PEI im Untersuchungsausschuss des Landes Brandenburg vernommen. Sie musste einen erheblichen Meldeverzug ihres Instituts einräumen. Die von Professor Kekulé angeführten PEI-Daten vom September 2021 waren – da zu diesem Zeitpunkt tausende Meldungen unbearbeitet herumgelegen haben dürften – daher vor allem eines: nicht zuverlässig. Seither hat sich einiges getan in Sachen Aufarbeitung der Bearbeitungsrückstände beim PEI. Das sieht man deutlich an den Zahlen, die das PEI zuletzt im Bulletin für Arzneimittelsicherheit 1/2025 veröffentlicht hat. Demnach wurden bis Ende 2024 im Spontanerfassungssystem des PEI insgesamt 63.909 schwerwiegende Verdachtsfallmeldungen nach Covid-Impfungen registriert. Zum Vergleich: Die vom PEI genannte Zahl der Meldungen über schwerwiegenden Reaktionen pro eintausend Impfdosen lag im September 2021 noch bei 0,15 und hat sich damit mehr als verdoppelt. Das allein, auch wenn es vordergründig um trockenes PEI-Zahlenwerk von “anno dazumal“ geht, lässt aufhorchen.
Herr Kekulé führt zu den SafeVac2.0-Daten in seinem Focus-Beitrag weiter in ruhiger Selbstverständlichkeit aus: „Die daraus zu vermutende Untererfassung von etwa 90 Prozent entspricht ziemlich genau dem Wert, der für Spontanmeldesysteme geschätzt wird.“ Ja, auch das wird die Mehrheit der Fachleute unterschreiben. Das PEI selbst hatte im Jahr 2017 diese Zahl genannt. Dazu gleich mehr.
Einige mathematisch versierte Leser ahnen es an dieser Stelle bereits: Professor Kekulé hat mit seinem Focus-Beitrag gerade eine signifikante Detonation in Sachen Sicherheit der Covid19-Impfstoffe ausgelöst. Denn nach knapp anderthalb Jahren Impfkampagne dürfte demnach circa ein Prozent der geimpften Bevölkerung in Deutschland von einer schwerwiegenden Nebenwirkung (Verdachtsfall) betroffen gewesen sein.Das ist eine Horrorzahl, von der man inständig hofft, dass sie nicht wahr sein möge. Doch der Reihe nach:
Insgesamt lag die Anzahl der Verdachtsfallmeldungen über Nebenwirkungen für Covid-Impfungen 21mal so hoch wie bei anderen Impfstoffen. Das ist schon seit Längerem bekannt. Bezogen auf die rund 64 Millionen ein- oder mehrfach geimpften Personen in Deutschland verzeichnete die offizielle Meldestatistik des PEI somit bei fast 0,1 Prozent der Covid-geimpften Bevölkerung eine Verdachtsfallmeldung über ein schwerwiegendes Ereignis. Dieser Wert sieht nur dann statistisch besser aus, wenn er – wie es das PEI getan hat – nicht auf die Anzahl geimpfter Personen in der Bevölkerung bezogen wird, sondern auf die Anzahl der verabreichten Impfdosen. Die lag bzw. liegt gemäß dem Impfdashboard etwa dreimal so hoch wie die Zahl der geimpften Personen. Auf diese Weise werden aus ca. 0,1 Prozent der geimpften Bevölkerung dann „nur“ 0,032 Prozent – pro Impfdosis. Das ist einfache Mathematik oder, wie böse Zungen behaupten würden, ein trickreicher statistischer Kniff des PEI. Wer an der Richtigkeit dieser Berechnung zweifelt, dem sei ein Blick in die letzte Verlautbarung des PEI zum Thema empfohlen, den Pharmakovigilanzbericht vom März 2025. Darin heißt es: „Die Melderate von Verdachtsfällen einer Nebenwirkung betrug für alle COVID19- Impfstoffe zusammen 1,78 Meldungen pro 1.000 Impfdosen, für Verdachtsfälle mit schwerwiegenden Nebenwirkungen 0,32 Meldungen pro 1.000 Impfdosen.“ Das sind 0,032 Prozent – pro Dosis und für dreimal Geimpfte somit im Ergebnis ca. 0,1 Prozent der „immunisierten“ Bevölkerungsgruppe. Doch damit nicht genug:
Das PEI schrieb jahrelang unter Berufung auf große internationale Studien selbst, dass die Meldungen im Spontansystem eine signifikante Untererfassung aufweisen.
Das Underreporting beträgt demnach durchschnittlich etwa 95 Prozent. Für schwerwiegende vermutete Nebenwirkungen liegt die Melderate tendenziell etwas höher. Optimistische Schätzungen gehen für schwerwiegende Verdachtsfälle „nur“ von 90 Prozent Underreporting, mithin einem Faktor 10 für das Spontanmeldesystem, aus. Für Nebenwirkungen nicht schwerwiegenden Charakters liegt die Melderate in der sogenannten Spontanerfassung eher noch niedriger bzw. die Untererfassung höher als bei den genannten 95 Prozent. Wäre alles, was als schwerwiegender Verdachtsfall einzustufen ist, tatsächlich gemeldet worden, hätte das PEI somit die unglaubliche Anzahl von mehr als einer halben Million schwerwiegenden Verdachtsfällen zu klären und zu bewerten gehabt. Da im Zuge der Impfkampagne etwa 64 Millionen Menschen mehrfach geimpft worden sind, lässt sich bei einem anzunehmenden Underreporting im Bereich von 90 Prozent bzw. von Faktor 10 bei fast 64.000 schwerwiegenden Verdachtsfällen im Spontanerfassungssystem leicht hochrechnen: Es dürften überschlägig 640.000 betroffene Personen sein, wäre vom PEI alles erfasst worden. 10 Prozent von 64 Millionen sind 6,4 Millionen, 1 Prozent von 64 Millionen sind: 640.000 (!). Da ist sie, die oben genannte Horrorzahl von 1 Prozent.
Kurz gesagt: Die bereits bekannten Daten in Kombination – die 21fache Häufigkeit von Verdachtsfallmeldungen bei Covid19-Impfungen im Vergleich zu konventionellen Impfstoffen sowie die Untererfassung im Spontanmeldesystem – deuten auf eine medizinische Katastrophe hin. Die jahrelange Nichtauswertung von Daten aus dem gesetzlichen Krankenversicherungssystem (GKV) und die Nichtherausgabe der SafeVac2.0-Daten durch das PEI wären unter diesen Umständen bestens erklärlich. Die Auswertung der GKV-Daten hatte der Gesetzgeber Ende 2020 übrigens eigens gesetzlich angeordnet, da von einer Unterfassung (sic!) im Spontanmeldesystem auszugehen sei.
Nicht wirklich zur Beruhigung der Öffentlichkeit trägt im Übrigen der Umstand bei, dass das PEI den Anteil schwerwiegender Meldungen an allen meldepflichtigen Verdachtsfällen auf knapp unter 20 Prozent beziffert. Wie hoch dieser Anteil bei SafeVac2.0 war, das ist und bleibt vorläufig unbekannt. Da SafeVac2.0 eine aktive Befragung war, ist davon auszugehen, dass nicht schwerwiegende Verdachtsfälle von Nebenwirkungen dort weit stärker als im Spontanerfassungssystem sonst üblich erfasst worden sind. Das macht es statistisch nicht wirklich besser, ganz im Gegenteil. Sind nämlich etwa 0,5 Prozent der Teilnehmer vom Verdacht einer schwerwiegenden Nebenwirkung betroffen, dann liegt dieser Wert für alle übrigen, nicht schwerwiegenden Nebenwirkungen erheblich höher, optimistisch gerechnet um den Faktor 5, realistisch gerechnet eher um einen signifikant höheren Faktor als 5. Als meldepflichtige Nebenwirkung bzw. als Verdachtsfall wird dabei laut gesetzlicher Regelung nur das betrachtet, was über das übliche Maß einer zu erwartenden Impfreaktion bzw. gesundheitlichen Schädigung hinausgeht (vgl. § 6 Abs. 1 Nr. 3 IfSG).
Man darf getrost davon ausgehen, dass das PEI weiterhin alles tut, um die Gesamtzahl dieser meldepflichtigen Nebenwirkungsverdachtsfälle auf Basis von SafeVac2.0 vor der Öffentlichkeit geheim zu halten. Am 18. August 2023 hatte es folgendes mitgeteilt: „Insgesamt 5.074.069 unerwünschte Ereignisse wurden mittels SafeVac-App nach 1.179.877 Impfungen berichtet.“
Was von diesen über 5 Millionen „unerwünschten Ereignissen“ über das übliche Maß einer gesundheitlichen Schädigung hinausging und daher als Verdachtsfall klassifiziert und gemeldet wurde (sicherlich nur ein Bruchteil der vom PEI genannten über 5 Millionen „Ereignisse“), ist bis heute Verschlusssache. Immerhin kann man dem PEI ein erhebliches Geschick bei seinem informatorischen Vorgehen attestieren: Die Begriffe „Nebenwirkung“ bzw. „Verdachtsfall“ umschiffte das Institut schon zum Zeitpunkt der erwähnten Mitteilung vom 18. August 2023 nicht zufällig.
Anfang Juli 2025 wurde durch die Antwort der Bundesregierung auf eine Bundestagsanfrage endgültig klar, dass das PEI die Zahl aller Verdachtsfallmeldungen, die auf Basis von SafeVac2.0 zu Eudravigilance weitergeleitet worden sind, nicht preisgeben möchte. Brisant: Das PEI hatte dem Verwaltungsgericht Darmstadt explizit mitgeteilt, dass es alle ihm bekannten Verdachtsfälle von Nebenwirkungen für SafeVac2.0- Teilnehmer gesetzeskonform zu Eudravigilance weitergeleitet hat, also nicht nur schwerwiegende Nebenwirkungen. Dieselbe Auskunft, das schreibt das PEI selbst, hatte es zuvor bereits dem ZDF gegeben. Den Bürgern, der Presse, den Abgeordneten verweigert das PEI aber bis heute die Auskunft über diese ihm zwangsläufig bekannte Zahl von SafeVac2.0-Verdachtsfällen. Nicht von ungefähr hat das PEI auf einen X-Post vom 20. Mai 2025, mit dem es unter dem hashtag #ImpfstoffFakten“ eine „Aufklärungskampagne gegen Desinformationen“ starten wollte, einen regelrechten Shitstorm als Reaktion verzeichnet.
Können wir überhaupt eine echte Aufklärung seitens des PEI erhoffen? Bei den sich aufdrängenden Fragen wären zahlreiche weitere Punkte einzubeziehen und zu untersuchen. Wenn das PEI diese so dringend notwendige Aufklärung nicht leisten kann oder möchte, dann muss diese notfalls im Wege der Herausgabe aller Rohdaten der ohnehin anonym erhobenen SafeVac2.0-Daten und weiterer Pharmakovigilanzdaten erfolgen. Die Liste der Fragen ist nicht gerade kurz:
Wie viele der auf Basis von SafeVac2.0 zu Eudravigilance gemeldeten Verdachtsfälle lagen in einem engen Zeitfenster nach der Impfung? Die Teilnehmer hatten nach der Impfung 48 Stunden Zeit, um sich für die SafeVac2.0-Erhebung zu registrieren. Haben sich eventuell zahlreiche Studienteilnehmer erst registriert, nachdem bei ihnen innerhalb des Registrierungszeitfensters medizinische Probleme aufgetreten sind? Das würde die Anzahl der Verdachtsfälle einschließlich schwerwiegender Verdachtsfälle nach oben treiben und ggf. verzerren. Andererseits sollte man meinen, dass Menschen, die gerade mit einer schwerwiegenden Nebenwirkung bzw. einem medizinischen Ereignis schwerwiegenden Charakters kämpfen und deshalb hospitalisiert werden, wichtigeres zu tun haben, als eine Handy-App herunterzuladen und anonym zu benutzen. Wir wissen es bisher nicht.
Laut der Meldung des PEI vom 18. August 2023 registrierten sich mehr als 734.000 Teilnehmer mit mindestens einer bzw. der ersten Impfdosis in SafeVac2.0, Von den SafeVac2.0-Teilnehmer haben 445.483 eine zweite Dosis erhalten und in die App eingetragen, so dass sie dazu auch befragt werden konnten. Das vom PEI genannte Verhältnis von Erst- zu Zweitimpfungen in SafeVac2.0 wirft weitere Fragen auf: Wie hoch war bei dieser Studie die sogenannte Response rate, also die Anzahl der Teilnehmer, die während der Studiendauer von zwölf Monaten überhaupt die gestellten medizinischen Fragen beantwortet hat? In der Bevölkerung hat die große Mehrheit der einmal Geimpften später noch weitere Injektionen erhalten. Wenn dagegen nur gut 60 Prozent der registrierten SafeVac2.0-Teilnehmer eine zweite Impfung in der App eingetragen haben, deutet dies auf eine erheblich unter der Gesamt-Teilnehmerzahl liegende Anzahl von tatsächlich zu Ende geführten Teilnehmer-Befragungen hin, also eine niedrige Response rate. Der Erfahrungswert bei der wesentlich kleineren SafeVac1.0-Erhebung mit einer Beobachtungs- und Erhebungsphase von lediglich 3 Monaten lag laut Internetseite des BMG bei knapp 55 Prozent. Welche statistischen Konsequenzen es hat, wenn formal 0,5 Prozent aller SafeVac2.0-Teilnehmer von schwerwiegenden Nebenwirkungen betroffen waren, effektiv aber die Befragung eventuell nur mit der Hälfte dieser Teilnehmer wirklich bis zum Ende durchgeführt worden ist, kann jeder leicht selbst errechnen.
Ferner: Um halbwegs aussagekräftige Ergebnisse auch im Vergleich zu den Resultaten aus den Hersteller-Studien zu erhalten, müssten von den SafeVac2.0-Teilnehmern diejenigen einer gesonderten Analyse zugeführt werden, die zu den 445.483 zweifach geimpften Teilnehmern gehören und außerdem alle Fragen im 12-Monats-Beobachtungszeitraum beantwortet haben. Weil eine mögliche Verzerrung aufgrund des 48-Stunden-Registrierungszeitfensters bei diesen Teilnehmern ausgeschlossen ist, wäre hier besonderes Augenmerk auf die Rate von (insbesondere schwerwiegenden) Verdachtsfällen zu legen, die nach der zweiten Impfdosis aufgetreten ist im Vergleich zur ersten Impfdosis.
Weiterhin bezieht sich das PEI, obwohl es nach der Anzahl der Verdachtsfallmeldungen gefragt wurde, auf die Teilnehmerzahl. Teilnehmer, die mehrfach injiziert worden sind, können indes mehrere Verdachtsfälle pro Person aufweisen, da jede einzelne Impfung zu einem neuen Verdachtsfall führen kann. Die Statistik hinter den 0,5 Prozent (dies entspricht 3.506 SafeVac2.0-Teilnehmern) ist schon aus diesen Gründen weitaus komplexer als es auf den ersten Blick erscheint. Gefragt worden war in der Bundestags-Anfrage nicht nach betroffenen Teilnehmern, sondern nach Verdachtsfällen. Das PEI wich auf „Teilnehmer“ aus. Ob die Zahl der Verdachtsfälle, weil einige SafeVac2.0-Teilnehmer mehrfach betroffen waren, signifikant darüber liegt, darüber können wir nur spekulieren. Sehr zu denken gibt, dass das PEI für den Impfstoff Comirnaty (Biontech) am 18. August 2023 die Zahl von 3.935 Impfungen nannte, bei denen ein schwerwiegendes Ereignis oder „Ereignis von besonderem Interesse“ verzeichnet worden war – nur für Comirnaty. Was jetzt vom PEI in der Kategorie „schwerwiegend“ gezählt und zugleich als Verdachtsfall eingeordnet wurde – wir wissen es nicht.
Aufgrund der Herstellerberichte (PSUR) und der im Rahmen des Spontanerfassungssystems erhobenen Daten ist zudem bekannt, dass etwas mehr als zwei Drittel der vermuteten Impfnebenwirkungen bzw. Verdachtsfälle Frauen betrafen. Die geschlechtsspezifische Nebenwirkungsrate bzw. Rate an Verdachtsfallmeldungen könnte demnach bei Frauen höher als der geschlechterübergreifend ausgewiesene Wert von 0,5 Prozent gelegen haben, bei Männern dagegen niedriger. Ob dies so war – wir wissen es nicht.
Die einzelnen Impfstoff-Chargen bei dem meistverwendeten Covid-Impfstoff Comirnaty (Biontech) sollen gemäß der Stellungnahme des PEI vom 18. August 2023 ein sehr ähnliches Nebenwirkungsprofil gehabt haben. Die entsprechende Auswertung wollte das PEI, obwohl dazu bereits auf das Informationsfreiheitsgesetz gestützte (Eil-)Gerichtsverfahren laufen, nicht herausgeben. Der Schönheitsfehler dieser PEI-Stellungnahme besteht nur leider darin, dass die im Detail vom PEI dazu bereitgestellten Zahlen das Gegenteil der Überschrift (!) besagen, wie eine statistische Analyse von Professor Matthias Reitzner ergab. Das lässt erhebliche Sorgen in Bezug auf die Produktqualität und -stabilität aufkommen. Ernste Verdachtsmomente aufgrund der internationalen Studienlage zum Thema Chargenqualität kommen hinzu.
Schließlich stellen sich weitere bedeutsame Fragen, die ohne Kenntnis der Datenlage im Detail nicht zu lösen sind. Es geht dabei auch um die in der Herstellerstudie genannten Raten für „serious adverse events“ (schwerwiegende unerwünschte Ereignisse) in der Impf- und in der Placebogruppe. Die Herstellerstudie von Pfizer/Biontech hatte einen durchschnittlichen Beobachtungszeitraum von 85 Tagen und eine Placebogruppe. SafeVac2.0 hatte dagegen einen Nachbeobachtungszeitraum von 12 Monaten.

Wenn in der Herstellerstudie innerhalb eines knapp dreimonatigen Beobachtungszeitraums in der Impfgruppe 0,6 Prozent schwerwiegende Ereignisse auftraten (die weit überwiegend vom Hersteller als „not related“ [nicht im Zusammenhang stehend] eingestuft worden sind), steht die Frage im Raum, weshalb bei einem um so viele Monate längeren Nachbeobachtungszeitraum „nur“ 0,5 Prozent schwerwiegende Ereignisse vom PEI erfasst worden sind. Bereits die sogenannte Grundinzidenz wäre innerhalb von zwölf Monaten erheblich höher zu erwarten. Das gilt selbst dann, wenn der Altersdurchschnitt in SafeVac2.0 um einiges unterhalb des Altersdurchschnitts der Probanden in den Herstellerstudien lag. Denn in der Herstellerstudie hieß es damals:
„The frequency of individuals experiencing AEs were slightly higher in the younger compared to older individuals“ – übersetzt: „Die Häufigkeit von Nebenwirkungen war bei jüngeren Personen etwas höher als bei älteren Personen.“
In der Pharmakovigilanz (Arzneimittelüberwachung) meint der Ausdruck „Time to Onset“ (TTO) die Zeit bis zum Auftreten einer unerwünschten Arzneimittelwirkung (UAW), dies ist ein wichtiger Parameter. Die TTO gibt an, wie lange es dauert, bis eine UAW nach Beginn der Medikamenteneinnahme oder nach einer bestimmten Intervention (z. B. Impfung) auftritt. Eine kurze TTO deutet oft auf eine unmittelbare Reaktion hin, während eine lange TTO auf eine verzögerte Wirkung oder eine andere zugrundeliegende Ursache hindeuten kann.
Verbesserung der Signalerkennung: Durch die Analyse der TTO kann die Signalerkennung in der Pharmakovigilanz verbessert werden. Zum Beispiel können statistische Methoden, die die TTO berücksichtigen, dazu beitragen, sicherheitsrelevante Signale aus spontanen Meldungen von UAWs besser zu erkennen. raglich ist angesichts dieser Zahlen, ob das PEI für SafeVac2.0-Teilnehmer nur das zu Eudravigilance als Verdachtsfall gemeldet hat, was es insbesondere aufgrund des engen zeitlichen Zusammenhangs (Fachbegriff “TTO“: time to onset) zur Impfung als möglicherweise kausal (bzw. „related“) angesehen hat – also zum Beispiel nicht den Herzinfarkt eines 68-Jährigen acht Monate nach der Impfung, wohl aber den Herzinfarkt eines 44-Jährigen einen Tag danach.
Quelle: KI, siehe auch den sehr wertvollen Beitrag der Journalistin Aya Velázquez vom 25.07.2025 zur Kausalitätsbewertung des PEI im Rahmen der Pharmakovigilanz nach WHO-Guidelines
Ohne Kenntnis der Rohdaten gilt: Wir wissen nicht, wie das PEI Nebenwirkungen für SafeVac2.0-Teilnehmer überhaupt klassifiziert und gemeldet hat. Unwahrscheinlich ist angesichts der Daten aus der Herstellerstudie, dass jegliches medizinisches Ereignis, welches das „übliche Maß“ überschritt und bei dem nur die entfernte Möglichkeit eine Impfzusammenhangs bestand, erfasst und vom PEI nach der Einstufung als Verdachtsfall zu Eudravigilance gemeldet worden ist.
Fazit:
Man muss derzeit davon ausgehen, dass das PEI wohl auch noch im Jahr 2030 SafeVac2.0-Daten „auswerten“ wird, wenn Öffentlichkeit und Gerichte diesem Trauerspiel nicht zuvor ein Ende setzen: Im Studienprotokoll für SafeVac2.0 war eine Gesamtstudiendauer einschließlich der vorangehenden zehnmonatigen Planungsphase von circa 40 Monaten vorgesehen. Die Auswertungsphase war dabei mit 6 bis 9 Monaten kalkuliert worden. Bezogen auf das Ende der Datenaufnahmephase der Studie (30. September 2023) hätten die Auswertungen und Daten somit in der Jahresmitte 2024 vorliegen sollen. Im Digitalzeitalter jahrelang wichtige Gesundheitsdaten „auszuwerten“, während Impfstoffhersteller innerhalb weniger Monate Zulassungsstudien vorlegen konnten – kein klar denkender Mensch kann diese behördliche Begründung noch als glaubwürdig ansehen.
Der aktuelle Aufruf von Professor Kekulé, die Gesundheitsministerin Nina Warken möge für eine unverzügliche Fertigstellung und Veröffentlichung der SafeVac2.0-Studie sorgen, verdient volle Unterstützung. Das PEI handelt derzeit gesetzeswidrig und verstößt u. a. gegen die Veröffentlichungspflichten nach § 67 Abs. 6 AMG, worauf Herr Kekulé zu Recht hingewiesen hat. Bleibt dieser Zustand so bestehen, kann und muss man das als öffentliches Eingeständnis eines noch viel größeren Problems werten, nämlich eines nicht zufälligen historischen Pharmakovigilanzversagens mit Unterstützung der Politik.
Autorin: Dr. Franziska Meyer-Hesselbarth ist seit 2008 Rechtsanwältin. Sie war unter anderem Mitarbeiterin bei der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht und Richterin am Landgericht Düsseldorf. Zu ihren Tätigkeitsschwerpunkten gehören Verwaltungsrecht, Arbeitsrecht und Medizinrecht.





