RKI-Protokolle im Verfassungsschutzbericht Mecklenburg-Vorpommern
Die Veröffentlichung der Protokolle des Corona-Krisenstabs des Robert-Koch-Instituts hat die Notwendigkeit einer Aufarbeitung der Pandemiepolitik offenkundig werden lassen – zeigen diese Protokolle doch, dass das Corona-Management weitgehend nicht, wie immer behauptet, auf wissenschaftlicher Evidenz fußte, sondern maßgeblich politisch angeordnet war. Diese brisante Enthüllung im Zuge der geleakten und freigeklagten Protokolle wurde von den Mainstream-Medien zwar behandelt, jedoch im gleichen Zug mehrheitlich als „Skandal, der keiner ist“ bezeichnet.
Die fehlende Wissenschaftlichkeit der Corona-Maßnahmen war von Kritikern während des Pandemiegeschehens bereits sehr früh angesprochen worden. Diese Stimmen wurden jedoch umgehend aus dem Debattenraum entfernt, um die Existenz eines wissenschaftlichen Konsens vorzutäuschen. Außerdem wurden die Kritiker von Lockdowns, Maskenpflichten und Impfpflichten über viele Jahre von den gleichen Medien, die heute in den RKI-Protokollen keinen Skandal erkennen können, verunglimpft.
Anfang Juli habe ich ein Buch mit dem Titel „Vereinnahmte Wissenschaft – Die Corona-Protokolle des Robert-Koch-Instituts“ herausgegeben, in dem die wichtigsten Erkenntnisse aus den mehr als 4000 Protokoll-Seiten von verschiedenen Autoren zusammengefasst werden. Das Buch zeigt anhand der Expertenaussagen des Robert-Koch-Instituts, dass diese Fachleute hinter ihren verschlossenen Türen fast die selbe Kritik an den Maßnahmen äusserten, wie z.B. der Top-Epidemiologe der Stanford-Universität Professor John Ioannidis, der für seine Kritik allerdings viel Schelte einstecken musste.
Bezogen auf die Aufarbeitung der Pandemiepolitik ist der Datensatz der “RKI-Files“ wahrscheinlich der Bedeutendste der Corona-Jahre. Doch warum tauchen diese amtlichen Dokumente, die das Gesundheitsministerium gerne geheimgehalten hätte, im Jahresbericht 2024 des Verfassungsschutzes von Mecklenburg-Vorpommern auf? Die Antwort: Im Zuge der stärker werdenden Kritik an den Corona-Maßnahmen war im April 2021 ein neuer Phänomenbereich beim Verfassungsschutz eingeführt worden. Von nun an wurden Personen oder Personengruppen hinsichtlich einer „verfassungsschutzrelevanten Delegitimierung des Staates“ beobachtet. Gemeint ist damit laut der Behörde: «Die Akteure dieses Phänomenbereichs zielen darauf ab, wesentliche Verfassungsgrundsätze außer Geltung zu setzen oder die Funktionsfähigkeit des Staates oder seiner Einrichtungen erheblich zu beeinträchtigen. Hierzu betreiben sie eine zielgerichtete Verächtlichmachung des demokratischen Systems und seiner Funktionsträger. Die Angehörigen des Phänomenbereichs zielen auf die Radikalisierung und Mobilisierung von Teilen der Bevölkerung, um ihre eigene Agenda voranzubringen. Auch über die Corona-Pandemie hinausgehend werden Krisensituationen zur Delegitimierung des Staates genutzt.»
Im Bericht des Landesamtes für Verfassungsschutz in Mecklenburg-Vorpommern, welches dem Innenministerium unterstellt und daher wie das RKI weisungsgebunden und nicht-unabhängig ist, heißt es auf Seite 88: «Durch die im Mai 2024 veröffentlichten Protokolle des RKI-Krisenstabs rückte es [Das Themenfeld rund um die COVID-19-Pandemie] erneut verstärkt in den Fokus. In der Szene wird versucht, auf Grundlage dieser Dokumente vermeintliche Skandale zu konstruieren und deren umfassende Aufarbeitung zu fordern. Dabei wurden auch martialische Forderungen nach sogenannten ‚Tribunalen‘ laut. Auch dies ist ein Indiz der in dieser Szene verbreiteten Gleichstellung von staatlichen Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie mit den nationalsozialistischen Verbrechen. Darstellungen von Galgen in diesem Zusammenhang sprechen nicht für eine an der Menschenwürde und dem Rechtsstaatsprinzip ausgerichtete Aufarbeitung.“
Ich war reichlich überrascht, im Bericht zu lesen, dass die Autoren von “vermeintlichen“ Skandalen, Tribunal-Forderungen und NS-Vergleichen sprechen, da solche Assoziierungen keinesfalls repräsentativ für die Berichterstattung über die RKI-Protolle sind.
Meine Presseanfrage, auf welcher Faktengrundlage denn der Verfassungsschutz die Protokolle mit der Forderung nach Tribunalen und der Gleichstellung mit NS-Verbrechen in Verbindung bringt, wurde durch die Behörde erst nach anwaltlicher Erinnerung an ihre Auskunftspflicht beantwortet. Die relevanten Antworten auf meine Bitte nach konkreten Belegen für die behaupteten Dinge im Wortlaut:
• «Die in den Verfassungsschutzberichten dargestellte Situation ist nicht die Wiedergabe einzelner Äußerungen oder Positionen bestimmter Personen, sondern eine Gesamtdarstellung einschlägiger Narrative, Argumentationsmuster und Kommunikationsstile, wie sie innerhalb des Phänomenbereichs der verfassungsschutzrelevanten Delegitimierung des Staates regelmäßig anzutreffen sind.»
• «In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass Bewertungen wie etwa die Bezeichnung bestimmter Vorwürfe als vermeintliche Skandale“ nicht pauschal auf die inhaltliche Auseinandersetzung mit amtlichen Dokumenten, wie den Sitzungsprotokollen des Corona-Krisenstabs des Robert-Koch-Instituts, zielen. Vielmehr beziehen sich solche Formulierungen auf Fälle, in denen diese Protokolle selektiv, sinnentstellend oder konspirativ aufgeladen werden, um Narrative der verfassungsschutzrelevanten Delegitimierung des Staates zu transportieren. Die Bewertung als „vermeintlich“ erfolgt demnach im Rahmen einer beobachtungsrelevanten Gesamtschau von Kontext, Tonalität und politischer Zielsetzung entsprechender Aussagen und Veröffentlichungen.»
• «Zur Klarstellung: Die RKI-Protokolle und deren Veröffentlichung sind nicht Gegenstand der Arbeit des Verfassungsschutzes. Die im Verfassungsschutzbericht 2024 MV verwendeten Formulierungen lassen sich auch nicht pauschal auf die mediale, politische, rechtliche oder wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den RKI-Protokollen oder den Corona-Maßnahmen beziehen und dies ist auch mit den Ausführungen nicht beabsichtigt. Die Berichterstattung nimmt diesbezüglich keine Bewertung vor. Sie bezieht sich vielmehr auf Entwicklungen innerhalb des beobachteten Personenpotenzials im Phänomenbereich ‚Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates‘, das für Mecklenburg-Vorpommern im Bericht mit rund 50 Personen beziffert wird.»
Die Antwort des Innenministeriums kommt also ohne einen einzigen Beleg für eine Behauptung aus, die weitreichende Konsequenzen haben kann. Die Bezugnahme auf die RKI-Protokolle im Zuge der Forderung nach einer Aufarbeitung der Pandemiepolitik wird in diesem Bericht gleichgesetzt mit schrägen NS-Vergleichen und Forderungen nach “Tribunalen“ zur Verurteilung der für die Maßnahmen Verantwortlichen. Ziemlich eindeutig wird hier eine zitierfähige Basis dafür geschaffen, die Beschäftigung mit den bzw. die Bezugnahme auf die RKI-Protokolle in ein schlechtes Licht zu rücken. Gerade weil diese Protokolle belegen, dass das RKI politisch vereinnahmt wurde, ist dieses unbelegte Framing durch eine ebenfalls weisungsgebundene Behörde höchst fragwürdig. Will der Verfassungsschutz so verhindern, dass die geleakten Protokolle ihre Wirkung entfalten? Wird unter dem Deckmantel des Vorwurfs der „Delegitimierung des Staates“ versucht, jede Kritik am Regierungshandeln als Angriff auf die Verfassung umzudeuten? Stehe ich als Autor dieses Textes und stehen die übrigen Autoren des oben genannten Buches nun unter Beobachtung, weil wir die RKI-Protokolle als solide Grundlage für eine Aufarbeitung des Corona-Geschehens betrachten?
Der Jurist und ehemalige Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki (FDP) kommentiert die Erwähnung der Protokolle im VS-Bericht auf Anfrage so: «Die Ausführungen des Verfassungsschutzes Mecklenburg-Vorpommern sind reichlich irritierend. Man muss das wohl als Symptom eines immer noch verbreiteten Corona-Narrativs werten, wonach die staatliche Reaktion auf das Virus als sakrosankt anzusehen ist. Die in den Protokollen zutage getretenen Probleme, politischen Fehlentscheidungen und Zweifel passen nicht zu dieser Erzählung.
Dass der Verfassungsschutz hier ohne Belege die gesamte auf die Protokolle gestützte Aufarbeitung in ein Zwielicht rückt, kommt aber angesichts der Ausrufung des schwammigen und hochproblematischen Phänomenbereichs der „verfassungsschutzrelevanten Delegitimierung des Staates“ nicht von ungefähr. Diese Kategorie gehört wieder abgeschafft und die Verfassungsschutzbehörden wieder an das Arbeiten auf fester Faktengrundlage gewöhnt. Die Antworten [der Behörde] auf die Nachfragen [der Presse] legen schonungslos offen, dass man nicht einmal schlechte Belege für die aufgestellte Behauptung liefern kann. Offensichtlich arbeitet man hier nach der Devise, dass nicht sein kann, was nicht sein darf.»
Die für die Veröffentlichung der geleakten RKI-Protokolle verantwortliche freie Journalistin Aya Velàzquez, die aus fadenscheinigen Gründen vom Verfassungsschutz beobachtet wird, kommentiert den Verfassungsschutzbericht und eine ähnlich klingende Antwort auf eine von ihr gestellte Presseanfrage auf X wie folgt: «Angesichts der hilflosen Antwort der Behörde wirkt die Formulierung im neuen VS-Bericht vollkommen undurchdacht – so als habe man sich einfach den schlagkräftigsten ‚Talking Point‘ der Corona-maßnahmenkritischen Bewegung herausgepickt, um ihn in den Dreck zu ziehen, und dabei nicht mitbedacht, dass man damit potenziell auch prominente Politiker wie Wolfgang Kubicki, seriöse Journalistinnen wie Elke Bodderas und angesehene Wissenschaftlerinnen wie Svenja Flaßpöhler und Frauke Rostalski, die sich ebenfalls mit einer Aufarbeitung der RKI-Protokolle beschäftigt haben, mitdiffamieren könnte.»
Ein strukturelles Problem?
Die evidenzlose Verknüpfung der RKI-Protokolle mit Tribunal-Forderungen und NS-Vergleichen ist allerdings nicht die erste suspekte Veröffentlichung eines Verfassungsschutzes in letzter Zeit. Für viel Medienrummel sorgte erst im Mai das zunächst geheim gehaltene 1000 Seiten starke Gutachten, welches beweisen sollte, dass die Partei Alternative für Deutschland (AfD) “gesichert rechtsextrem“ ist. Erst auf enormen medialen Druck hin wurde dieser Bericht, also die Grundlage für eine politisch sehr wichtige Einstufung, veröffentlicht. Verfassungsschutzkenner Matthias Brodkorb fasste nach dem Studium der 1000 Seiten seine Bewertung der Stichhaltigkeit des Gutachtens wie folgt zusammen: «Ich halte diese gesamte Beweisführung für völlig lächerlich.»
Bei der Bürgermeisterwahl in Ludwigshafen wurde kürzlich der AfD-Kandidat Joachim Paul ausgeschlossen. Er durfte aufgrund eines Gutachtens des Verfassungsschutzes in Rheinland-Pfalz nicht zur Wahl zum Oberbürgermeister antreten. Der Wahlausschuss der Stadt hatte nach dem Lesen des Gutachtens «Zweifel an seiner Verfassungstreue».
Deutlich wird, wie viel Einfluss die Einschätzungen des Verfassungsschutzes haben können und warum deshalb das in Mecklenburg-Vorpommern vorgenommene Framing der RKI-Protokolle höchst problematisch ist. Die Protokolle sind meiner Ansicht nach die wichtigsten Dokumente, um eine sorgfältige Aufarbeitung der Pandemiepolitik zu ermöglichen. In Mecklenburg-Vorpommern sind in fast genau einem Jahr Landtagswahlen und Ministerpräsidentin Schwesigs SPD liegt aktuell weit hinter der AfD, die zurzeit 29% der Wählerstimmen bekommen würde. Chef des Verfassungsschutzes ist Innenminister Christian Pegel von der SPD. Leiter der Abteilung Verfassungsschutz im Innenministerium ist Thomas Krense.
Für die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses braucht es in MV die Zustimmung eines Viertels der Abgeordneten. Vielleicht sind diese Prognosen Grund dafür, warum die RKI-Protokolle im Bericht des Verfassungsschutzes in ein derart schlechtes Licht gerückt werden.

